Janet Kaminski - YOGA der Gelassenheit Wenn wir mit dem Auto einen uns unbekannten Ort ansteuern, verlassen wir uns weitgehend auf die Software des Navis. Sollten Sie also mit dem Gedanken spielen YOGA zu praktizieren, was klug wäre, dann wäre eine Navigationshilfe nicht minder angebracht. Wir folgen unserem Verstehen, bliebe dieses ungeklärt, würde das den Erfolg unserer YOGA-Praxis behindern. Tatsächlich ist YOGA weitaus mehr, als ein System körperlicher Gesundheitsübungen. Worauf YOGA abzielt, will ich an dem Beispiel der Balance deutlich machen. Auf dem ersten Blick scheint unser körperliches Sein vollkommen der Bedingung der Schwerkraft zu unterliegen, schaut man jedoch genauer hin, erweist sich das als Täuschung. Leben - also auch der Organismus der wir sind - unterliegt nicht der Schwerkraft! Das Leben hat sich innerhalb der Bedingung der Schwerkraft entwickelt, es ist die Antwort auf die Schwerkraft. Wenn Sie diese Tatsache für sich gelten lassen, haben Sie bereits den ersten Schritt getan, über den rein körperlichen Aspekt des YOGA hinauszuschauen. Tatsächlich hängen unsere Leichtigkeit und Gesundheit maßgeblich davon ab, ob wir geistesgegenwärtig genug sind, der Kontinuität der Schwerkraft die Kontinuität des Sich-Aufrichtens entgegenzusetzen. Körperlichkeit und Balance sind keine individuellen Fähigkeiten, sondern natürliche Anlagen des Lebens. Diese zu realisieren unterliegt jedoch gnadenlos der Bedingung unserer Aufmerksamkeit für das Hier und Jetzt. Das Empfinden und Spüren der Welt und unseres körperlichen Seins, sind Voraussetzungen des Sich-Aufrichtens. Rückenschmerzen, Bandscheiben- Muskel- oder Gelenkprobleme sind in aller Regel die Folge des Verlustes von Balance, körpergemäßer Haltung und natürlicher Bewegung. Es handelt sich also weniger um medizinisch-therapeutische oder um sportliche Herausforderungen, als um eine Herausforderung an unseren Geist. Wirkliche Entspanntheit im Körperlichen ist nicht zu realisieren, solange eine fehlende Balance unsere Gelenke daran hindert, ihre natürliche Stellung einzunehmen. Waches stilles Spüren und Gelassenheit stellen die angemessene Geisteshaltung dar, um das YOGA und den Alltag zu meistern. Wahre Meisterschaft - und das trifft ebenfalls für unser YOGA wie für unseren Alltag zu - ist in uns angelegt. Dafür müssen wir nicht mehr tun, als das Leben zu beachten. Leben will gelebt werden, nicht irgendwann in der Zukunft, sondern hier und jetzt. Selbstachtung und Selbstbeachtung gehören zusammen, und dies vollkommen unabhängig von Alter, Geschlecht oder körperlicher Kondition. Ja, die Meisterung des YOGA beruht auf nichts anderem, als auf Selbstachtung und Selbstbeachtung, niemand ist davon ausgeschlossen. Das Wort Haltung zeigt über das Körperliche hinaus auf den ganzen Menschen. Tatsächlich ist ein angespannter Mensch ein entspannter Mensch der sich verspannt, und ein gelassener Mensch ist jemand der sich lässt. Verspannungen, Schwäche oder der Verlust der Mitte resultieren aus der alltäglichen Gedankenverlorenheit. Das heißt: die im YOGA vermittelte Achtsamkeit für unser körperliches Sein ist nichts anderes, als die Achtsamkeit für diesen realen Augenblick. Das ist Medizin, in jeglicher Hinsicht. Es wäre also kurzsichtig, würde die YOGA-Praxis nicht gleichermaßen auf unsere geistige wie körperliche Integrität abzielen. Gedankenverlorenheit resultiert aus der Tatsache, dass wir unsere Gedankeninhalte als Ausdruck des Realen verstehen, woraus sich nahezu all unsere Ängste, Sorgen und Konflikte ableiten. Wir haben Angst vor Einbrechern, vor dem Tod, vor dem Alter oder vor Verlust. Schauen wir jedoch genau hin, dann sind in der Regel zwar die Ängste gegenwärtig, nicht jedoch die Einbrecher oder der Tod. Es gilt zu erkennen, dass der Gedanke an einen Verlust uns ebenso viel Angst bereiten kann, wie ein realer Verlust, wobei man überdies übersieht, dass wir weniger an Verlusten leiden als vielmehr am Festhalten. Offensichtlich unterliegt das Körperliche dem Wandel, unser Geist aber ist ohne Alter und wir erkennen hier und jetzt weder einen Anfang noch ein Ende. Es ist also nicht klug, aus einem Mangel an Geistesgegenwärtigkeit heraus, Ängste vor dem aufzubauen, was allein in unseren Vorstellungen existiert. Unseren Vorstellungen den Rang von Realität einzuräumen, ist der Ursprung aller Konflikte. Menschen kommen weich und stark auf die Welt und verlassen sie schwach und steif oder schlaff. YOGA zielt darauf ab, Weichheit, Stärke und Vitalität, sowie den rechten Muskeltonus lebenslang zu erhalten. Dieser Augenblick ist Medizin, wenn wir ihn denn achten und beachten. |